Entwickeln oder Bearbeiten?

Ich mache da einen gewissen Unterschied. Gerade wenn man sich dafür entscheidet, seinen Fotoapparat auf das Raw-Format einzustellen, sollte man sich überlegen, wie man die vielen Möglichkeiten, die eine Rawkonvertierung bietet, eigentlich nutzen möchte. Dass man sie nutzen möchte, wird ja wohl so sein, denn sonst kann man ja im JPEG-Modus bleiben.

Ein Rawfile muss immer erst einmal durch eine Rawkonvertierung gehen, damit überhaupt ein Bild daraus wird. Manchmal wird das mit dem Entwicklungsprozess eines chemischen Analogfilms verglichen, deshalb darf man bei einer Rawkonvertierung auch getrost von digitaler Fotoentwicklung sprechen.

Rawkonvertierer heißen Lightroom, Aperture, Digital Photo Professional, Capture NX, Bibble, RawTherapee usw. usf. Ist also alles, was ein Rawkonvertierer tut, dem Bereich „Entwickeln“ zuzuordnen? Mitnichten. Viele Rawkonvertierer können deutlich mehr. Die Unterscheidung – meine jedenfalls – zwischen Entwickeln und Bearbeiten ist nämlich durchaus nicht immer 100%ig eindeutig.

Bei mir hat es sich wie folgt herauskristallisiert:

Entwickeln würde ich tendenziell eher die Operationen nennen, die aufs gesamte Bild wirken und den Bildeindruck als Gesamtes bestimmen, und das dürfen ruhig auch große Veränderungen sein. Ganz offensichtlich sind das die klassischen Entwicklungseinstellungen wie Helligkeit, Weißabgleich, Kontrast und so weiter. Vielleicht zählt sogar ein HDR-artiges Tonemapping für mich gerade noch dazu. Für Bearbeiten halte ich hingegen eher die Veränderung einzelner Bildbereiche und definitiv die Anwendung von Bereichsmasken und Pinseln, man nennt es dann ja auch Retusche. Demnach könnte vielleicht sogar schon der in manchen Rawkonvertern eingebaute NDgrad-Filter für mich zu den Bearbeitungen zählen. Das Hinzufügen einer künstlichen Vignette ist auch so ein Zwitter; ich hatte ja vorausgeschickt, dass die Trennung manchmal nicht ganz eindeutig ist. Die „durchbrochene Vignette“, die ich sehr gerne nutze, ist aber ganz sicher eine Bearbeitung und keine Entwicklung mehr. Auch alles, was nach der Rawkonvertierung eventuell noch anschließend in einem anderen Grafikprogramm wie Photoshop, Gimp, etc. gemacht wird, mache ich als Bearbeitung und nenne es nicht mehr Entwicklung.

Gar nicht leicht einzuordnen sind geometrische Veränderungen wie Objektiv- und Perspektivkorrekturen. Vielleicht sind sie, wenn sie anhand von gut recherchierten Korrekturprofilen automatisch gemacht werden, eher der Entwicklung zugehörig – andernfalls, also wenn man versucht manuell zu korrigieren, eher Bearbeitung. Aber vielleicht wird es jetzt auch zu akademisch…

Meine Unterscheidung hat nämlich auch einen praktischen Nutzen:

Und zwar den, dass ich mir bei Serien, die auch für andere von Interesse sein könnten, durchaus vornehme, jedes Bild einzeln für eine gute Entwicklung zu optimieren. Aber eben längst nicht jedes Bild bearbeite. Das im Hinterkopf behaltend und der gelegentlichen Versuchung, trotzdem zu „bearbeiten“ widerstehend, komme ich üblicherweise relativ schnell mit dem „Entwickeln“ voran. Familienfotos, Partyfotos, Urlaubsfotos. Ja, alle diese werden bei mir nicht einfach 1:1 von der Kamera genommen, sondern „entwickelt“, was zwar meistens lediglich Weißabgleich- und Helligkeitskorrektur bedeutet, aber alleine das macht so manches Bild schon deutlich schöner. Bzw. oft sogar ähnlicher zu dem, was ich wirklich gesehen habe.

Habe ich hingegen Bilder, die mir für einen ganz bestimmten Zweck vorschweben, zum Beispiel ein mir selbst vorgenommenes Fotoprojekt, ein Fotokalender, Bilder für eine Sedcard, dann gehe ich von Vornherein von einer Bearbeitung aus und entwickle vielleicht gar nicht mal alle Aufnahmen, die ich gemacht habe, sondern versuche, anhand der Defaultentwicklung des Rawkonverters die vielversprechendsten herauszupicken und stecke dann vielleicht auch schon mal etwas mehr Aufwand in die Entwicklung, bevor es rüber in die Bearbeitung mit dem Allzweckgrafikprogramm (bei mir bekanntlich: Gimp) geht. Und dort kann es dann je nach Bild schon ein wenig dauern, bis alle Filter angewendet bzw. Ebenen gestapelt und die Ebenenmasken gemalt sind, durchaus auch schon mal per langwierigem Try&Error, und dann ist es gut, dass da nicht gleich Hunderte von Bildern auf eine Bearbeitung warten, sondern nur ein paar.

Dieser Unterschied ist, wie ich finde, mit konsequenter Wortwahl und Unterscheidung zwischen „Entwickeln“ und „Bearbeiten“, gut deutlich zu machen. Allerdings muss man ihn wohl ab und zu erklären. Das soll hiermit geschehen sein.

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